Am 18. Januar 2018 entschied der Bundesgerichtshof, dass die schlichte Nichtbegleichung einer offenen Forderung über einen Zeitraum von mehreren Monaten regelmäßig zur Kenntnis des Gläubigers über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners führt.
Der Insolvenzverwalter, eines auf Eigenantrag über das Vermögen einer AG am 16. Juli 2010 eröffneten Insolvenzverfahrens (nachfolgend: Schuldnerin) klagte gegen ein Unternehmen zur Vermittlung von Gewerbeimmobilien. Der Kläger forderte von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Vorsatz- und Deckungsanfechtung die Rückgewähr der in der Zeit von Dezember 2009 bis Mai 2010 geleisteten Beträge.
Die Schuldnerin unterhielt im Jahr 2008 vier Restaurants in mehreren deutschen Großstädten. Für eine betriebliche Erweiterung in Berlin ließ sie sich von der Beklagten im Juli 2008 Gewerberäume nachweisen. Die Beklagte berechnete hierfür im November 2008 eine Courtrage in Höhe von rund 118.000 Euro, die zum 1. Dezember 2008 fällig war. Die Schuldnerin zahlte bis zum 17. September 2009 einen Betrag von rund 39.000 Euro. Nach Aufforderung zur Zahlung weiterer 79.000 Euro und anwaltlicher Androhung gerichtlicher Maßnahmen durch die Beklagte erging gegen die Schuldnerin im November 2009 ein Vollstreckungsbescheid über etwa 84.000 Euro. Daraufhin kündigte die Schuldnerin der Beklagten gegenüber an, nunmehr Teilleistungen auf die Schuld erbringen zu wollen. Nach dieser Ankündigung zahlte sie im Dezember 2009 und im Januar 2010 jeweils einen Betrag von 20.000 Euro. Im März 2010 folgte die Zahlung von 10.000 Euro und in der Zeit zwischen April und Mai 2010 an 20 Tagen jeweils ein Betrag von 500 Euro.
Das Berufungsgericht führte aus, dass dem Kläger kein Anspruch aus § 143 Abs. 1 S. 1, §§ 129, 133 Abs. 1 InsO zustehe. Es sei nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht erwiesen, ob die Beklagte Kenntnis von einer Gläubigerbenachteiligung der Schuldnerin hatte. Ein Gläubiger kenne den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn er selbst bei Leistungsempfang seine Ansprüche ernsthaft eingefordert habe, diese verhältnismäßig hoch seien und er wisse, dass der Schuldner nicht in der Lage sei, die Forderungen zu erfüllen. Optional genüge auch die vom Schuldner selbst erklärte Zahlungsunfähigkeit. Ein solcher Fall habe dem Berufungsgericht zufolge jedoch nicht vorgelegen.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs habe die zum Zeitpunkt der jeweiligen Rechtshandlungen zahlungsunfähige Schuldnerin die Zahlungen mit einem von der Beklagten erkannten Benachteiligungsvorsatz geleistet.
Grundsätzlich handele ein Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz, soweit er zahlungsunfähig sei und davon auch Kenntnis habe. Kenntnis des Gläubigers über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bedeute die Kenntnis über die Vereitelung, Erschwerung oder Verzögerung der Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger. Damit habe ein Gläubiger auch regelmäßig Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Insbesondere bei gewerblichen Tätigkeiten des Schuldners müsse der Gläubiger grundsätzlich auch mit ungedeckten Ansprüchen weiterer Gläubiger des Schuldners rechnen.
Das Berufungsgericht habe offen gelassen, ob bei den erbrachten Teilzahlungen der Schuldnerin bereits die Zahlungsunfähigkeit gegeben war, oder ob diese später eingetreten sei. Der Bundesgerichtshof ging von einer Zahlungseinstellung der Schuldnerin zum 30. September 2009 aus und vermutete deshalb nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die Zahlungsunfähigkeit.
Der Bundesgerichtshof führte weiterhin aus, dass das monatelange Schweigen der Schuldnerin auf die Rechnung der Beklagten an für sich genommen ein Indiz für die Zahlungseinstellung darstelle.
Die Beklagte hatte ihre noch hohen Restforderungen von mehr als 78.540 Euro über einen monatelangen Zeitraum vergeblich eingefordert. Auch die Einschaltung eines Rechtsanwalts und die Betreibung eines Mahnverfahrens sowie der Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids konnten die Schuldnerin nicht zur Zahlung bewegen. Die schlichte Nichtbegleichung der offenen Forderung könne dem Bundesgerichtshof zufolge den Schluss auf eine Zahlungseinstellung gestatten. Denn durch das weitere Schweigen auf die Androhung gerichtlicher Maßnahmen bis zum Erlass des Vollstreckungsbescheids seien erhebliche zusätzliche Kosten angefallen, die ein nach Auffassung der Richter zahlungsfähiger Schuldner durch Begleichung der begründeten Forderung vermeiden wolle.
Die Schuldnerin habe durch die monatelange Untätigkeit und die Inkaufnahme des von vornherein aussichtslosen Gerichtsverfahrens mangels liquider Zahlungsmittel Zeit gewinnen wollen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe die Beklagte in Hinblick auf die besonderen zeitlichen Abläufe Rückschlüsse auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ziehen müssen. Auch das Angebot der Teilzahlungen stelle ein weiteres Indiz für die Zahlungsunfähigkeit dar, soweit der Schuldner seine fälligen Verbindlichkeiten nicht anders begleichen könne.
Bei dieser Sachlage seien mehrere Beweisanzeichen gegeben, die aus Sicht der Beklagten nur auf eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin und damit auf einen Benachteiligungsvorsatz hindeuten würden. Nach der fruchtlosen monatelangen Beitreibung ihrer erheblichen Forderung und der Ankündigung von Teilzahlungen angesichts der drohenden Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid könne sich die Beklagte nicht der Tatsache verschließen, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei und eine bevorzugte Befriedigung der Beklagten zum Nachteil anderer Gläubiger zumindest billigend in Kauf genommen habe.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Januar 2018 – IX ZR 144/16)