Bundesgerichtshof stellt Haftung des Geschäftsleiters in Eigenverwaltung gegenüber Beteiligten analog §§ 60, 61 InsO fest (Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. April 2018 – IX ZR 238/17).

Am 26. April 2018 entschied der Bundesgerichtshof, dass der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung den Beteiligten analog §§ 60, 61 InsO haftet.

Am 30. März 2014 wurde über das Vermögen einer GmbH & Co. KG (Schuldnerin) unter Anordnung der Eigenverwaltung das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte wurde mit Wirkung zum 17. September 2014 zum weiteren Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Schuldnerin berufen, nachdem er zuvor als Sanierungsexperte für sie tätig gewesen war. Am 4. November 2014 stimmte die Gläubigerversammlung einem im Oktober 2014 erstellten Insolvenzplan des Beklagten und der übrigen Geschäftsführer zu, der neben der Befriedigung der Gläubiger und dem Erhalt der Arbeitsplätze eine Fortführung der Schuldnerin ermöglichen sollte.  Nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans hob das Amtsgericht das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 28. Januar 2015  auf. Die Schuldnerin bestellte am 9. Dezember 2014 bei der Klägerin Damenoberbekleidung, deren Lieferung am 30. April 2015 zu erfolgen hatte. Der von der Klägerin hierfür in Rechnung gestellte Betrag von 87.120,49 Euro blieb unbeglichen. Auf einen Eigenantrag vom 18. Juni 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der zwischenzeitlich umfirmierten Schuldnerin eröffnet.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten wegen Forderungsausfalls eine Schadensersatzleistung in Höhe von 87.120,49 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass den Beklagten gegenüber der Klägerin eine Haftung analog § 61 InsO trifft. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend feststellte, sei eine unmittelbare Anwendung der Bestimmung des § 61 InsO in vorliegender Gestalt nicht möglich. Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft Pflichten verletze, die ihm nach diesem Gesetz obliegen. Gemäß § 61 Satz 1 InsO schuldet der Insolvenzverwalter einem Massegläubiger Schadensersatz, soweit eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, nicht aus der Insolvenzmasse erfüllt werden kann. Bei beiden Vorschriften handelt es sich um Schadensersatzpflichten des Insolvenzverwalters.

Im zu entscheidenden Fall ordnete das Gericht ohne Einsetzung eines Insolvenzverwalters die Eigenverwaltung nach § 270 InsO an. Die Schuldnerin war somit auch während der Dauer des Insolvenzverfahrens nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO unter Aufsicht eines Sachwalters dazu berechtigt die Insolvenzmasse zu verwalten und über diese zu verfügen. Die Schuldnerin als GmbH & Co. KG wurde durch ihre Komplementär-GmbH und diese wiederum durch ihre Geschäftsführer, u.a. den Beklagten, vertreten. Der Beklagte fungierte jedoch nicht als Insolvenzverwalter, so dass eine unmittelbare Anwendung der §§ 60, 61 ausgeschlossen sei.

Die Richter stellten jedoch fest, dass in der Eigenverwaltung einer juristischen Person eine analoge Anwendung der Vorschriften der §§ 60, 61 InsO auf den vertretungsberechtigten Geschäftsleiter gegeben sei, da die erforderliche planwidrige Regelungslücke bestehe. Eine planwidrige Regelungslücke ist gegeben, soweit der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar ist und angenommen werden kann, der Gesetzgeber komme bei einer Interessenabwägung zu dem gleichen Abwägungsergebnis, soweit er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm. Zusammenfassend muss sich die Lücke aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem Regelungsplan ergeben, der dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrunde liegt.

Eine planwidrige Regelungslücke bestehe nach Auffassung des Bundesgerichtshofs darin, dass die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO die Organe des Schuldners nicht unmittelbar erfasse und die Verweisung weitgehend bedeutungslos sei, soweit der Schuldner eine juristische Person sei. Eher sei anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei der Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO die Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen als Schuldner nicht bedacht habe.

274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO sieht ausdrücklich eine Haftung des Sachwalters vor, soweit dieser die Überwachung der Geschäftsführung missachtet. Vom Wortlaut beschränkt die Norm des § 274 Abs. 2 InsO die Überwachung auf die Geschäftsführung und nicht die Person des Schuldners. Nach Auffassung der Richter erscheine es bei einer Haftung des Aufsichtspflichtigen folgerichtig, gleichermaßen auch die Geschäftsleiter als überwachte, unmittelbar handelnde Personen einer Haftung zu unterwerfen, insbesondere durch die Entstehung besonderer Pflichten der Geschäftsleitung im Rahmen der Eigenverwaltung.

Der Bundesgerichtshof hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. April 2018 – IX ZR 238/17)